Eine generationengerechte Gesundheitsversorgung ist ein vielschichtiges Forschungsgebiet. Dennoch werden bestimmte Gebiete kaum oder nur selektiv bearbeitet: Wissenschaftliche Beiträge über die Vernachlässigung der Kinder- und Jugendmedizin sind ebenso unterrepräsentiert wie die unzureichende Berücksichtigung von Frauen bei pharmakologischen Studien. Von den medizinischen, ökonomischen, sozialen und rechtlichen Konsequenzen der Verschiebung der Bevölkerungsstrukturen ganz zu schweigen. In einer stark alternden Gesellschaft wie in Deutschland wurde die wissenschaftliche Diskussion über diese Entwicklungen lange Zeit verschlafen und erst in den letzten Jahren stärker wahrgenommen, während andere Länder unter dem Begriff „Aging Societies“ die Folgen demografischer Entwicklungen schon lange in ihre Lehr- und Forschungskonzepte aufgenommen haben.
Generationengerechtigkeit wurde lange Zeit fast ausschließlich unter einem intragenerativen Blickwinkel geführt und die Analyse betrachtete die Beziehungen zwischen den lebenden Generationen: Wie steht es um die Gesundheitsversorgung der Menschen unterschiedlichen Alters hinsichtlich einer adäquaten medizinischen Behandlung, die Versorgung mit ambulanten und stationären Leistungen, mit Pflege oder auch mit palliativen Angeboten? Gegenwärtig rücken stärker intergenerative Gesichtspunkte zwischen den heute lebenden und den künftigen Generationen in den Mittelpunkt: Wie werden künftige Verteilungskonflikte um die immer knapper werdenden Gesundheitsressourcen gelöst? Wie belastbar ist der durch ein Umlagesystem finanzierte Generationenvertrag, der durch den demografischen Wandel an Grenzen stößt, da immer weniger Junge (Erwerbstätige) immer mehr Ältere (nicht mehr Erwerbstätige) mit Gesundheits-, Pflege- und Rentenleistungen zu versorgen haben?
Mit Blick auf die aktuelle Lage muss man konstatieren, dass Kranken- und Pflegeversicherung nicht gut für die Zukunft aufgestellt sind. Hinzu kommt ein massives Effizienz- und Ausgabenproblem. Die Politik hat mit einer freigiebigen Gesetzgebung hohe Ausgabensteigerungen mitverursacht, während Effizienzaspekte und Reformen auf der Einnahmenseite weitgehend unterblieben sind.
Wenn nun über einen notwendigen Umbau des Gesundheitssystems diskutiert wird, müssen vor allem Ergebnisse in den Mittelpunkt rücken. Evidenzbasierte Erkenntnisse über den Nutzen der Inanspruchnahme von Leistungen sind die notwendige Richtschnur, um über die Leistungsfähigkeit des Systems seriös diskutieren zu können. Bei der Wertermittlung einer Gesundheitsleistung sollte stärker der Nutzen der verbesserten Gesundheit für den Patienten den resultierenden Kosten gegenübergestellt werden. Goldstandard sind zwar klinische Studien, sie sollten aber ergänzt werden um weitere Maße aus der gesundheitsökonomischen Forschung, beispielsweise den QALYs (Quality-Adjusted Life Years). Das ist in anderen Ländern teilweise heute schon Standard. Allerdings erfordert die Übertragung individueller Nutzenmaße auf gesamtgesellschaftliche Verteilungsentscheidungen eine sorgsame Diskussion und Ausgestaltung der Konzepte, um die erforderliche gesellschaftliche Akzeptanz zu finden.
Mit Blick auf eine generationengerechte Versorgung geht es aber nicht nur um einen Ergebnisvergleich von Kosten und Nutzen der Leistungserbringung und – Leistungsinanspruchnahme. Im Mittelpunkt stehen immer auch zukunftsfeste regionale Versorgungsstrukturen, die den Bedarf der Menschen decken, damit sie von Geburt an bis ins hohe Alter so gesund und selbstbestimmt wie möglich leben können. Dabei kommt auch der Prävention eine entscheidende Rolle zu. Unter ökonomischen Aspekten wird Prävention das System langfristig vielleicht nicht notwendigerweise billiger machen, die Menschen sollten durch Prävention aber vor allem gesunde Lebensjahre hinzugewinnen, die es ihnen ermöglichen, länger in ihrer vertrauten Umgebung bleiben oder sogar auch länger arbeiten können.
Eine große Herausforderung mit Blick auf eine generationengerechte Versorgung ist die fehlende Koordination der Vielzahl an Akteuren des sektoral gegliederten Gesundheitssystems: Arztpraxen, therapeutische Praxen, Pflegeanbieter, Krankenhäuser, Apotheken und weitere Leistungserbringer. Vor Ort gibt es zu viele Schnittstellen und Kompetenzüberlagerungen, die eine koordinierte Versorgung verhindern oder erschweren. Große Erwartungen liegen daher in der von der Koalition beschlossen Einführung eines Primärarztsystems, wobei Kritiker die Fokussierung auf die (Haus-)Ärzte bemängeln und statt dessen ein Primärversorgungsystem fordern. Auch in die Krankenhausreform werden große Erwartungen gesetzt, gerade auch mit Blick auf die Schnittstelle zum ambulanten Sektor.
Unabhängig davon, in welche Richtung sich das Gesundheitssystem weiterentwickeln wird: Das gegenwärtige System ist zu bürokratisch, es fehlt an Digitalisierung, es ist nach wie vor stark sektoral ausgerichtet und somit insgesamt auf die genannten Herausforderungen schlecht vorbereitet. Es bleibt viel zu tun, auch unter dem Blickwinkel einer generationengerechten Versorgung.
DR. REGINA KLAKOW-FRANCK, PROF. VOLKER ULRICH, PETRA ACHER