Beeindruckende Einzel-Initiativen, aber große strategische Defizite

Der für das Jahr 2024 vom Frankfurter Forum gewählte Themenschwerpunkt „Klimawandel, Umwelt und
Gesundheit“ wird uns noch lange begleiten, denn die Herausforderungen an das Gesundheitssystem und
die Gesellschaft werden eher größer als kleiner: Laut Report des „Lancet Countdown on Health and Climate Change“ wurde im Jahr 2024 eine Vielzahl neuer klimawandel-assoziierter Rekorde beobachtet; so stieg zum Beispiel die Hitze-bedingte Sterblichkeit bei der Bevölkerung ab 65 Jahre im Vergleich zu den 1990er Jahren weltweit um 167%. Die Toten der auch in Europa immer häufiger werdenden Extremwetter-Katastrophen wie unlängst in Spanien sind im Lancet Countdown noch gar nicht mitgerechnet.

Die Hitze-bedingte Sterblichkeit ist nur einer von insgesamt 56 Indikatoren, mit denen seit dem Pariser
Abkommen von 2012 die klimawandel-bedingten Auswirkungen auf die Gesundheit sowie die sozialen und ökonomischen Folgeschäden für die Gesellschaft kontinuierlich gemessen werden. Auch der vom
Gesundheitssystem selbst verursachte Treibhauseffekt nimmt unverändert zu: Insgesamt ist der Anteil mit rund sechs % zwar eher klein, jedoch im Vergleich zum Jahr 2016 um 36% angestiegen. Vom Ziel eines klimaneutralen Gesundheitssystems sind wir deshalb leider weiter entfernt als je zuvor.

Dringender politischer Handlungsbedarf wird deshalb nicht nur im Lancet Countdown gesehen, sondern
wurde so auch im Frankfurter Forum auf den Punkt gebracht: Laut Klimaanpassungsgesetz von 2023 sollte im Zusammenhang mit der noch zu entwickelnden nationalen Klimaanpassungsstrategie das Cluster „menschliche Gesundheit und Pflege“ Berücksichtigung finden. Ein kleiner Mosaikbaustein hierzu – der Hitzeschutzplan des Bundesministeriums für Gesundheit – war in der Frühjahrsveranstaltung des Frankfurter Forums bereits vorgestellt worden. Im zwischenzeitlich in Kraft getretenen neuen Klimaschutzgesetz der Bundesregierung werden die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit der Bevölkerung jedoch noch nicht einmal erwähnt.

Vor diesem Hintergrund ist umso erfreulicher, dass nicht wenige Akteure des Gesundheitswesens
Eigeninitiative ergreifen. So hat zum Beispiel die Arbeiterwohlfahrt als großer Sozialeinrichtungsträger
bereits vor zehn Jahren eine unternehmensweite Strategie zur Verbesserung der Klimabilanz ihrer
Einrichtungen eingeführt. Dies beginnt mit der Messung des jeweils eigenen CO2-Fußabdrucks. Nach den bisherigen Erfahrungen erweist sich nicht nur die Umstellung der Energie-Versorgung, sondern auch die Umstellung in der Küche auf fleischarme Ernährung und die Reduzierung von Speiseabfällen in den
stationären Pflegeeinrichtungen als ein sehr wirksamer Ansatzpunkt. Der Bewohner einer stationären
Pflegeinrichtung verursacht übrigens durchschnittlich ein Drittel weniger CO2-Emmissionen als Otto
Normalverbraucher – trotz massenhaftem Verbrauch von Einmalprodukten wie Windeln und Handschuhen und Desinfektionstüchern. Dies sollte ein weiterer Anlass zum Nachdenken über unsere alltäglichen Konsumgewohnheiten in unserer „Überfluss- und Wegwerf-Gesellschaft“ sein, übrigens auch gerade in der Thematik der sich unterscheidenden Mobilität zwischen Heim und nicht Heimbewohnern.

Müllvermeidung, Recycling und auch Ressourceneinsatz sind im Krankenhaus wichtige Hebel zur
Verringerung des eigenen CO2-Fußabdrucks. Recycling ist sogar von Verbrauchsgütern möglich, für die man das so gar nicht angenommen hätte, zum Beispiel Narkosegase. Einige Inhalationsanästhetika wie
Desfluran haben jedoch einen extrem hohen Treibhaus-Effekt und sollten deshalb nach Möglichkeit auf
weniger klimabelastende Anästhetika umgestellt werden, solange die Recycling-Technologie noch nicht
serienreif ist. Andere medizinische Maßnahmen wie zum Beispiel ein systematisches Patient Blood
Management vor planbaren Operationen können – wenn auch nur mittelbar, aber dann erheblich - über die Prävention von Anämie-bedingtem schlechtem Outcome zu einer Verbesserung der Klimabilanz beitragen: Patienten mit unbehandelter präoperativer Anämie haben ein dreifach erhöhtes Mortalitätsrisiko, eine um 20 % längere Krankenhausverweildauer und benötigen fünfmal so viele Fremdblut-Transfusionen – das ist nicht nur gesundheitsschädlich und kostenintensiv, sondern auch klimabelastend. Präventionsmaßnahmen sollten deshalb allgemein einen festen Platz in der noch zu entwickelnden nationalen Nachhaltigkeitsstrategie haben; so wird es zum Beispiel im Green Health-Konzept des BKK-Dachverbands vorgeschlagen.

In allen Sektoren und bei den verschiedenen Stakeholdern des Gesundheitswesens lassen sich Leuchtturm-Projekte finden, die eindrucksvoll demonstrieren, wie durch eigenes Engagement im Rahmen der jeweils gegebenen Zuständigkeiten und Handlungsmöglichkeiten eine klimafreundliche, präventionsorientierte Nachhaltigkeitsstrategie im Gesundheitswesen vorangetrieben werden kann. Über kurz oder lang wird sich dabei jedoch immer die Frage nach der Re-Finanzierung stellen: Sei es für Investitionen für die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien, oder für die Bereitstellung zusätzlicher Personalressourcen, wenn zum Beispiel eine Anämie-Ambulanz im Krankenhaus eingeführt wird. Paradox wird es, wenn Einsparungen, die durch eigene Anstrengungen erzielt wurden, sich bei den anschließenden Budget-Verhandlungen als gesunkene Betriebskosten negativ auswirken. Andererseits ist es nicht die originäre Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen, Investitionen in die Infrastruktur zu finanzieren, sondern die der Länder. Vor dem Hintergrund der steigenden Zusatzbeiträge stellt sich die Frage nach dem Re-Imbursement von klimafreundlichen Investitionsmaßnahmen und innovativen Leistungsangeboten aktuell als besonders problematisch dar. Im Rahmen von Verträgen zur Hausarztzentrierten Versorgung ist es selektiv immerhin gelungen, für die hausärztliche Hitzeschutz-Beratung eine Abrechnungsziffer einzuführen. Dies ersetzt jedoch nicht die Notwendigkeit, klimafreundliche Präventionsmaßnahmen adäquat in die Regelversorgung zu integrieren und dies entsprechend auch im Vergütungssystem abzubilden.

Ohne zivilgesellschaftliches Engagement und die Eigeninitiative der verschiedenen Stakeholder werden die Herausforderungen an das Gesundheitssystem durch den Klimawandel nicht bewältigt werden können. Gute Ideen und die Bereitschaft zur Übernahme eigener Verantwortung sind vorhanden. Dies sollte auch Jeder weiterhin in seinem täglichen Tun in den Mittelpunkt stellen. Angesichts des bestehenden Engagements bedarf es eigentlich keiner zusätzlichen „Anreize“ - die Rahmenbedingungen und speziell das Vergütungssystem dürfen die vorhandenen positiven Aktivitäten jedoch nicht konterkarieren. Die Regelversorgung ist unverändert auf Reparaturmedizin statt auf Prävention und Nachhaltigkeit ausgerichtet, und der im Kern auf einzelne Prozeduren abgestellte Leistungskatalog macht die Integration von Prozessinnovationen schwer bis unmöglich. Solange dies so ist, könnten die vorhandenen Selektivvertragsmöglichkeiten stärker als bisher für die Vereinbarung und Umsetzung innovativer Leistungsangebote wie die Hitze-Sprechstunde und das Patient Blood Management genutzt werden; hierzu zählen auch die bislang wenig beachteten Qualitätsverträge nach § 110a SGB V. Die Versicherten interessieren sich für solche Angebote, die den Klimawandel, die Folgen für die Gesundheit und eine nachhaltige Gesundheitsversorgung im Blick haben, wie aktuelle Versicherten-Befragungen zeigen.

Die beiden Hauptursachen, neben der genetischen Prädisposition, der sogenannten Zivilisationskrankheiten wie Typ 2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind identisch mit zwei Haupt-Verursachern des menschengemachten Klimawandels: Falsche Ernährung – zu viel Zucker, zu viel Fleisch - und körperlicher Bewegungsmangel – zu viel Fortbewegung mit Verbrenner-Motoren. Klimawandel und Gesundheit – wie eng diese zusammenhängen und wie dringend eine Nachhaltigkeitsstrategie für das Gesundheitssystem ist, diese Botschaft ist inzwischen bei allen angekommen: Bei den Ärztinnen und Ärzten, den Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Krankenkassen, bei den Versicherten – aber auch beim Gesetzgeber? Der Staat könnte mehr bewegen, durch eine Neuausrichtung des Ordnungsrahmens auf sektorenübergreifende Versorgung und Förderung von klimaschonenden, präventionsorientierten Leistungsangeboten.

DR. REGINA KLAKOW-FRANCK, PROF. DR. VOLKER ULRICH, PETRA ACHER

Frankfurter Forum e. V.
Seedammweg 51
61352 Bad Homburg

+49 152 389 52 463
petra.acher@frankfurter-forum-diskurse.de

Newsletter

Bleiben Sie auf dem Laufendem und erhalten Sie alle aktuellen Publikationen und Neugikeiten.

Unsere Partner:

partner