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HEFT NR. 16

Digitales Gesundheitswesen: Chancen, Nutzen, Risiken

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist mit großen Chancen verbunden. Sie kann den Weg für bessere Versorgungslösungen ebnen und bietet neue Möglichkeiten für eine unmittelbare Arzt-Patienten-Kommunikation. Doch die herkömmlichen staatlichen Regulierungsansätze sind augenscheinlich bisher mit der Dynamik der technischen Entwicklung überfordert.

Einerseits fehlt es gegenwärtig überwiegend an praktikablen Ansätzen, um beispielsweise Smartphone-Applikationen, die einen Patientennutzen versprechen, abzugrenzen von Angeboten, die wenig Evidenz, dafür aber hohe Risiken im Hinblick auf den Datenschutz erwarten lassen. Andererseits bieten die schon bisher im Zuge der Versorgung erhobenen Routinedaten der gesetzlichen Krankenkassen eine Vielzahl an Möglichkeiten, um Versicherte proaktiv im Sinne einer lückenlosen Versorgung anzusprechen. Hier aber hemmen die strengen Vorgaben des Sozialdatenschutzes bisher die Kostenträger in dem Bemühen, Über-, Unter- und Fehlver­sorgungen rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern. Vor diesem Hintergrund diskutieren die Autoren im Diskurs-Heft 16 „Digitales Gesundheitswesen: Chancen, Nutzen, Risiken“ das Thema aus einer interdisziplinären Perspektive.

Privat-Dozent Dr. Urs-Vito Albrecht, stellvertretender Direktor des hannoverschen Standorts des Peter L. Reichertz Instituts für Medizinische Informatik der TU Braunschweig und der MHH, betont, mobile Technologien könnten breiten Bevölkerungsschichten die Möglichkeit zur besseren Teilhabe an Gesundheitsprozessen geben. Wo Patienten in der Versorgung eher eine passive Rolle innehatten, könnten mobile Technologien die Anwender nun aktiv einbinden und sie Verantwortung für die eigene Gesundheit übernehmen lassen. Die entsprechenden Potenziale werden allerdings bisher kaum genutzt, bedauert Albrecht in seinem Beitrag „Gesundheits-Apps – Patientennutzen versus Kommerz“. Von Seiten der Politik sei daher eine aufmerksame Ausgestaltung der Rahmenbedingungen in Form einer Begleitung der Entwicklungen des mobilen Sektors geboten. Sie sollte mit Vorsicht aber dennoch wohlwollend tätig werden, um Entwicklungspotenziale nicht bereits im Keim zu ersticken, lautet Albrechts Plädoyer. Dazu gehöre auch das Fördern von Maßnahmen, die Evidenz schaffen und somit langfristig auch eine Finanzierung mHealth-basierter Lösungen ermöglichen.

Prof. Dr. h.c. Herbert Rebscher, Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, erinnert in seinem Beitrag „Versichertendaten in der GKV: Wege zur besseren Steuerung und Effizienz der Versorgung“ an das Konzept einer „Solidarischen Wettbewerbsordnung“ in der GKV. Dessen zentrales Ziel lautet, die Akteure des Systems zu motivieren und in die Lage zu versetzen, durch systematische Suchprozesse und selektive Vertragsmodelle die Versorgung der Patienten zu verbessern. Dieses Konzept wurde politisch nur zurückhaltend umgesetzt und – insbesondere auf Angebotsseite – nie wirklich konsequent verfolgt, bedauert Rebscher. Zudem sei insbesondere die Nutzung der Versichertendaten für eine bessere Steuerung und Versorgung einseitig unter dem Aspekt des Datenschutzes und nur nachrangig unter dem ebenso wichtigen Aspekt einer qualitativ hochwertigen und wirtschaftlichen Patientenversorgung diskutiert worden. Rebscher spricht sich für eine gesetzliche Aufgabenzuweisung an Krankenkassen aus: Sie sollten die Möglichkeit erhalten, selbst Versorgungsmanagement zu betreiben. Entsprechend sollten die erforderlichen Regelungen zum Sozialdatenschutz in Paragraf 284 SGB V angepasst werden.

Prof. Dr. Dr. Eva Winkler vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen am Universitätsklinikum Heidelberg betont in ihrem Beitrag „Big Data in Forschung und Versorgung: ethische Überlegungen und Lösungsansätze“, es handele sich bei „Big Data“ keineswegs nur um ein Modewort. Es gebe in der Medizin vielversprechende Anwendungsfelder in der Forschung, der Krankenversorgung, aber auch an der Schnittstelle zwischen den beiden Bereichen – der Translation. Zu den damit verbundenen ethischen Handlungsfeldern gehörten Fragen nach der Information und Zustimmung der Datennutzung durch Studienteilnehmer, der Umgang und die Rückmeldemöglichkeit von Zufallsbefunden aus der Forschung oder die Verantwortung von Forschern und Institutionen im Gesundheitswesen bei der Datenweitergabe und Datennutzung. Winkler konstatiert, dass die in Deutschland geltenden Prinzipien für die Datennutzung zu Forschungszwecken – wie Datensparsamkeit, Zweckbindung der Nutzung und der Einwilligungsprozess mit Aufklärung für ein Forschungsprojekt – die Art von Forschung, von der man sich heute einen großen Nutzen verspricht, behindern. Künftig seien Forscher und ihre Institutionen daher viel stärker als bisher in der Pflicht, für die Gestaltung eines verantwortlichen Umgangs mit Forschungsdaten die Rahmen- und Schutzbedingungen so zu gestalten, dass Risiken für die Re-Identifizierung der Patienten minimiert werden. Parallel dazu werde künftig der Beratungs- und Informationsbedarf auf Seiten der Patienten steigen.

Prof. Dr. Gerd Hasenfuß, Direktor der Klinik und Kardiologie und Pneumologie der Universitätsmedizin Göttingen, hebt hervor, internet-basierte Arzt-Patient-Interaktionen seien bereits im Versorgungsalltag angekommen. In seinem Beitrag „Digitalisierung in der Medizin Herausforderungen für Ärzte und Patienten“ berichtet er über Smartphone-Applikationen, die eine kontinuierliche Überwachung von Patienten mit Implikationen für präventive, diagnostische und therapeutische Maßnahmen versprechen. Nachdem Politik und Ärzteschaft das Potenzial der Fernbehandlung erkannt haben, wurde das Fernbehandlungsverbot relativiert und für Pilotprojekte explizit aufgehoben. Eine große Herausforderung bestehe jedoch darin, die Zuverlässigkeit der Information und die Datensicherheit zu gewährleisten. Außerdem müssten IT-Lösungen zur Kanalisierung der Datenflut und zum Informationsaustausch zwischen Arzt und Patient entwickelt werden. Hasenfuß fordert, es müsse dafür Sorge getragen werden, dass auch weniger technikaffine Patienten am Fortschritt durch Mobile Health partizipieren können.

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