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HEFT NR. 20

Perspektiven der Präzisionsmedizin

Der Einsatz von Big-Data-Anwendungen und Robotern im Gesundheitswesen, die mittels Künstlicher Intelligenz arbeiten, wirft völlig neue Fragen der Regulierung auf, verschärft aber auch bestehende Trends im Gesundheitswesen, so zum Beispiel hinsichtlich der Individualisierung von Risiken. Nötig sind daher Antworten auf politischer und gesellschaftlicher Ebene – beispielsweise im Sinne der Definition klarer Haftungsregeln. Daher bedarf der Einsatz solcher Systeme immer einer zuvor von Menschen gesteuerten Prüfung. Dafür sprachen sich Teilnehmer des 20. Frankfurter Forums aus, das am 26./27. April 2019 in Fulda unter dem Generaltitel „Big Data-Analysen – neue Perspektiven für Forschung, Diagnostik und Therapie?“ tagte.

Professor Dr. med. Stephan Sahm, Senckenbergisches Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Goethe-Universität Frankfurt, diskutiert in seinem Beitrag ethische Aspekte der Anwendung von Robotik und Künstlicher Intelligenz (KI) in der medizinischen Praxis. Denn für die Anwendung in der Pflege werden derzeit zahlreiche Robotersysteme getestet. Ebenso eröffnen selbstlernende Algorithmen neue Perspektiven für die Präzisionsmedizin, etwa bei der Analyse genetischer Informationen. Solche Anwendungen konfrontieren Pflege und Medizin mit neuen ethischen Herausforderungen. Grundsätzlich muss durch Algorithmen gebundene Autonomie von personaler Autonomie unterschieden werden. Diese Anschauung wird nicht in allen Kulturen geteilt. Basierend auf dem Verständnis personaler Autonomie lassen sich Prinzipien für die Entwicklung menschenzentrierter Robotik und KI ableiten. Die Europäische Union unternimmt derzeit Anstrengungen, diese Prinzipien als Voraussetzung der Entwicklung von Robotik und KI zu verankern. Unzweifelhaft kann die Beachtung ethischer Prinzipien nur durch ein supranationales Regelwerk sichergestellt werden. Doch hier kann Europa einen den Prinzipien des europäischen Gedankens angemessenen Weg finden, der über die EU hinaus Beachtung finden wird.

Professor Dr. jur. Stefan Huster, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Sozialrecht an der Ruhr-Universität Bochum und Geschäftsführender Direktor des dortigen Instituts für Sozial- und Gesundheitsrecht, diskutiert in seinem Beitrag ethische und juristische Aspekte des individualisierten Risikos – eine Folge der vermehrten Anwendung von Big Data und KI im Gesundheitswesen, die dazu führt, dass wir immer präzisere Informationen über individuelle Gesundheitsrisiken erhalten. Diese Individualisierung des Risikos lässt zum einen die Abgrenzung von Krankheit und Gesundheit brüchig werden, so dass sich die Frage stellt, ob und inwieweit die Versorgungssysteme auch präventive Leistungen zur Verhinderung des Risikoeintritts gewährleisten müssen. Zum anderen wird befürchtet, dass die Erkenntnisse über individuelle Risikoprofile das Modell der Krankenversicherung und ihren solidarischen Charakter gefährden.

Professor Dr. rer.pol. Volker Ulrich, Lehrstuhl für VWL III, insbesondere Finanzwissenschaft, Universität Bayreuth, erörtert in seinem Beitrag, ob angesichts der Fortschritte in der Onkologie der medizinische Fortschritt finanzierbar bleibt. Denn im Gesundheitswesen findet gegenwärtig eine Diskussion über die Hochpreisigkeit neuer Verfahren und Produkte statt. Insbesondere im Arzneimittelbereich hält sich hartnäckig eine Mondpreisdiskussion bei Arzneimittel-Innovationen. Darin werden die als viel zu hoch empfundenen Preise und Therapiekosten für neue Medikamente thematisiert und seitens der Kostenträger wird vor einer finanziellen Überforderung des GKV-Systems gewarnt. Der Beitrag diskutiert wettbewerbliche Instrumente und Regulierungsansätze, die wirksame Maßnahmen zur Steuerung und auch zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben darstellen. Sie können miterklären, warum es trotz des Preisauftriebs bei neuen Medikamenten bislang nicht zu einer Kostenexplosion in der Arzneimittelversorgung gekommen ist. Die Frage nach der Finanzierbarkeit des medizinisch-technischen Fortschritts kann aus ökonomischer Perspektive eindeutig mit ja beantwortet werden.

Professor Dr. rer. nat. Eva Susanne Dietrich, Institut für evidenzbasierte Positionierung im Gesundheitswesen, debattiert in ihrem Beitrag die Frage, inwieweit eine Präzisionstherapie für jeden Krebspatienten als realistisches Versprechen oder als unrealistisches Ziel bezeichnet werden muss. Der Beitrag beschreibt den aktuellen sozialrechtlichen Rahmen und mögliche Probleme in der praktischen Implementierung einer Präzisionstherapie. Der noch geringe Umfang verfügbarer Evidenz, der weitgehend fehlende Zugang zu den erforderlichen Daten, ein Paradigmenwechsel in der Zulassung und Arzneimittelversorgung sowie eine mögliche Einschränkung der ärztlichen Autonomie stellen dabei besondere Herausforderungen dar. Viele unbeantwortete Frage stellen sich mit Blick auf künftig veränderte Zulassungsregularien: Wollen wir tatsächlich eine Verlagerung der Arzneimittelversorgung hin zu experimentellen Therapien? Akzeptieren wir sie nur als Ultima Ratio oder auch in der Routineversorgung? Schließlich ist auch unklar, inwieweit sich der ärztliche Ermessensspielraum künftig ändern wird: Wie viel Autonomie soll und darf der Arzt aufgeben?

Professor Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Frage, welchen Beitrag Big Data in der Onkologie mit Blick auf eine biomarker-basierte Präzisionsmedizin leisten kann. Im letzten Jahrzehnt sind große Fortschritte in der molekulargenetischen Charakterisierung solider Tumore und hämatologischer Neoplasien durch die Anwendung innovativer Technologien erzielt worden. Gleichzeitig hat die Zahl zielgerichteter neuer Arzneimittel für die Behandlung von Krebserkrankungen deutlich zugenommen. Ergebnisse der bisher vorliegenden klinischen Studien zeigen, dass nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen derzeit für Therapien, die auf genomischen Analysen basieren, infrage kommen und davon profitieren. Der Artikel beschreibt den potenziellen Beitrag von Big Data für die Biomarker-basierte Präzisionstherapie und verdeutlicht anhand von drei Beispielen künftige Einsatzgebiete von Big Data in der Onkologie.

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