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HEFT NR. 22

Vorsorgungsforschung – Methoden und Ziele

Versorgungsforschung kann einen wichtigen Beitrag leisten, um Qualität, Sicherheit und Effizienz der Versorgung zu evaluieren. Dafür allerdings müssen die Ressourcen der Disziplin auf die Weiterentwicklung der Versorgung konzentriert werden. Das ist der zentrale Gestaltungsauftrag an die Vertragspartner, um einer wissensbasierten Versorgungspraxis näher zu kommen. Dies ist eine der zentralen Thesen der Referenten beim 22. Frankfurter Forum. Die ursprünglich am 17./18. April 2020 in Fulda geplante Präsenzveranstaltung, sollte unter dem Generaltitel stehen: „Versorgungsforschung – Grundlage für eine effiziente Planung, Organisation und Steuerung qualitätsgestützter Patientenversorgung“.

Professor Dr. Holger Pfaff, der das Zentrum Versorgungsforschung an der Universität zu Köln leitet, erläutert in seinem Beitrag, wie die Versorgungsforschung als Wissenschaft unterschiedliche Wissenschaftsgebiete zur Analyse und Lösung konkreter Versorgungsprobleme integriert. Sie greift dabei auf ein breites Methodenspektrum zurück, um die komplexe Versorgungsrealität abzubilden. Aus der Medizin leitet die Versorgungsforschung die konkreten Fragestellungen und ihren Anspruch auf evidenzbasiertes Vorgehen ab, aus den Sozialwissenschaften ihre methodischen Untersuchungsinstrumente und ihre Theorie.

In ihrer konkreten Arbeit gehen die Wissenschaftler von Grundannahmen über die Art der Zusammenhänge im Versorgungssystem aus, die linear oder aber komplexer Art sein können. Sie berücksichtigen dafür die verschiedenen Kontextebenen des Versorgungssystems mit ihren jeweiligen handlungsleitenden Regeln und Akteuren. Dies ist von Bedeutung, um zu erkennen, inwiefern die übergeordneten Interaktionssysteme – beispielsweise der Gesetzgeber, das Bundesgesundheitsministerium oder der Gemeinsame Bundesausschuss – den Handlungs- und Optionsrahmen der nachgeordneten Systeme prägen, und zwar bis auf die Ebene der Individuen, also der Interaktion zwischen dem einzelnen Patienten und seinem behandelnden Arzt.

Die Interaktionen in diesem „Maschinenraum der Versorgung“ sind nicht durch starre Systemlogiken geprägt, sondern Versorgungsforscher gehen immer davon aus, dass den Akteuren Raum für individuelle, „menschliche“ Entscheidungen bleibt. Individuen können auf allen Ebenen des Systems – vom Gesundheitssystem bis hin zu Arzt-Patienten-Interaktion – ihre Rollen gestalten und neu definieren. Es ist Teil der komplexen Aufgabe der Versorgungsforschung, diese individuellen und kollektiven Akteure einzeln und in ihrer Vernetzung im Hinblick auf die Auswirkungen auf die konkrete Versorgungsleistung zu untersuchen.

Professor Dr. Volker Ulrich, Ordinarius für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwissenschaft an der Universität Bayreuth, erläutert, inwieweit die Gesundheitsökonomie innerhalb der Methodenvielfalt der Versorgungsforschung einen wichtigen Rang einnimmt – insbesondere bei der Überprüfung, ob eine zu Lasten der Krankenkassen abgerechnete Leistung gleichermaßen medizinisch notwendig, wirksam und wirtschaftlich ist. Seit vielen Jahren werden derartige Untersuchungen stark von der Diskussion darüber bestimmt, inwieweit die in einer klinischen Studie unter kontrollierten Bedingungen (RCT) gewonnenen Ergebnisse über die Wirksamkeit (Efficacy) etwa eines Arzneimittels ergänzt werden können durch Versorgungsdaten, die die reale Versorgungssituation der Patienten widerspiegeln. Dabei ist zu berücksichtigten, dass der ganz überwiegende Anteil von Patientendaten in Form von Real-World-Data (RWD) vorliegt, wohingegen der Anteil der Daten aus klinischen Studien nur mit etwa fünf Prozent angegeben wird.

Nach einer Phase der wissenschaftlichen Debatte, in der die Unterschiede zwischen RCT und RWD polarisierend herausgestellt wurden, widmet sich die Methodendiskussion immer stärker der Frage, inwieweit klar strukturierte Forschungsfragen, geeignete Studienarten und solide Datenanalyse so kombiniert werden können, dass aussagefähige Vergleiche von medizinischen Interventionen möglich sind. Ganz überwiegend Konsens in der Debatte besteht darüber, dass viel davon abhängigen wird, ob es gelingt, Versorgungsdaten strukturiert und in hoher Qualität zu erheben. Noch nicht abschließend beantwortet ist die Frage, in welchem Ausmaß RWD verlässliche Informationen zum Zusatznutzen medizinischer Interventionen generieren können.

Professor Dr. h.c. Herbert Rebscher, Leiter des Instituts für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, hebt die Versorgungsforschung als eine zentrale Aufgabe der systembeteiligten Akteure hervor. Denn diese sind verantwortlich für die Allokationsentscheidungen des Systems. Diese Verantwortung umfasst insbesondere auch die Rechenschaftspflicht für das Ergebnis und die gesundheitliche, medizinische und ökonomische Wirkung der verhandelten Lösungen.

Die Erfahrungen aus der Versorgungspraxis nutzbar zu machen, ist eine zentrale Herausforderung und überwindet einen blinden Fleck im Konzept der evidenzbasierten Medizin.

Da der Goldstandard der randomisierten kontrollierten Studie nicht bei jedem Untersuchungsgegenstand und Forschungssetting angewendet werden kann, beschäftigt sich die Versorgungsforschung kontinuierlich mit der Herausforderung, neue nachweisorientierte Studientypen auf möglichst hohem Evidenzniveau zu entwickeln und anzuwenden. Im Mittelpunkt steht dabei immer der Kontext der Versorgungsleistung und der Interventionen im konkreten Setting. Versorgungsforschung misst die Effekte der Leistungen und des Versorgungssettings unter realen Bedingungen der Versorgungssituation und verfügt daher über eine hohe externe Validität, also die Übertragbarkeit der Erkenntnisse in einer populationsorientierten Versorgung.

Akteure wie Krankenkassen, Krankenhausketten oder die Kassenärztliche Bundesvereinigung halten mittlerweile gut entwickelte Strukturen zur Versorgungsforschung vor. Das Aufgabenspektrum dieser Einrichtungen sollte um neue Schwerpunkte und – insbesondere – um eine neue Zielbestimmung ergänzt werden: Die kontinuierliche Verbesserung der Versorgung der Patienten.

PD Dr. Anna Levke Brütt, Leiterin der Nachwuchsgruppe Rehaforschung an der Fakultät für Medizin und Gesundheitswissenschaften der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, betont in ihrem Beitrag, dass partizipative Versorgungsforschung international längst etabliert ist, in Deutschland hingegen noch in den Kinderschuhen steckt. Mit dieser partizipativen Versorgungsforschung verbindet sich die Hoffnung, dass die „Nutzer“ des Versorgungssystems in verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses Einfluss auf Entscheidungen nehmen können. Dies betrifft zentral und zuallererst die Auswahl von Forschungsthemen.

Auch für die weitere Phasen des Forschungsprozesses, so etwa Projektplanung und Antragstellung, konnte bereits gezeigt werden, wie über Workshops mit Fokusgruppendiskussionen beispielsweise die Identifikation relevanter Endpunkte in Studien durch Patienten sinnvoll begleitet werden kann. Schließlich kann die Beteiligung von Patienten bei der Publikation von Studien gewährleisten, dass die Ergebnisse der Versorgungsforschung tatsächlich die Zielgruppen erreichen und auch in die Versorgungspraxis einfließen.

Die Effekte partizipativer Versorgungsforschung sind vielfältig – in Studien wird der bessere Zugang von Patienten zu neueren Forschungsergebnissen ebenso betont wie eine leichtere Rekrutierung von Patienten für die Teilnahme an Studien. Sollen in Deutschland indes die Potenziale einer partizipativen Versorgungsforschung stärker als bisher gehoben werden, dann muss die Infrastruktur für derartige Forschungsansätze verbessert werden.

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