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HEFT NR. 24

Forschungsförderung: Transparente Strukturen gesucht

Steht in Diskussionen immer jeweils nur ein Politikfeld im Fokus, dann kommt die Vernetzung des Gesundheitssystems mit viel weiter ausgreifenden Problemen wie der Umwelt-, Klima- oder auch der Finanzpolitik in der Regel nicht in den Blick. Entsprechend selten wird auch die Rolle des Gesundheitswesens als Reparaturinstanz von Problemen gesehen, die an ganz anderer Stelle entstanden sind. Hohe „Reparaturkosten“ mit Hilfe des Gesundheitssystems – seien sie etwa durch sozioökonomische Ungleichheiten oder Disparitäten im Hinblick auf Bildung oder Ernährung bedingt – werden stillschweigend gesellschaftlich akzeptiert und finanziert. Die Aufwendungen für Prävention und Vermeidung durch bessere Edukation fallen demgegenüber finanziell kaum ins Gewicht.

Angesichts dieser Ausgangslage hat das 24. Frankfurter Forum, das pandemiebedingt am 23./24. April 2021 ausschließlich online stattgefunden hat, einen viel größeren Problemhorizont im Vergleich zu früheren Tagungen in den Blick genommen. Unter dem Titel „Globale Krisen – Gemeinsames und  Trennendes – Gesellschaftspolitische Herausforderungen“ wurde versucht, Aspekte der Vernetzung globaler Herausforderungen zu beleuchten. Die Reformbedarfe im Gesundheitssystem figurierten hier als ein Exempel für Herausforderungen. Antworten, so eine Erkenntnis der Tagung, müssen oftmals über sektorspezifische und nationalstaatliche Beschränkungen hinausgehen.

Prof. Dr. h.c. Herbert Rebscher, Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, hebt in seinem Beitrag hervor, das tradierte ökonomische Anreizsystem belohne bisher das „Weiter so“. Dabei konzentriere man sich auf die Rettung, auf die Reparatur von Schäden, weniger aber auf die Vermeidung. Das aber sei teuer, unproduktiv, vergangenheitsorientiert und zerstöre Lebensgrundlagen der Zukunft. Geboten seien daher ordnungsökonomische Konzepte, die diese Widersprüche überwinden und ein neues Verhältnis von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft begründen. Dabei müsste der Staat vom rettenden „Investor der letzten Instanz“ zum zukunftsgestaltenden „Investor der ersten Instanz“ transformiert werden. Zu den großen Herausforderungen gehöre es in diesem Prozess, wie Nachhaltigkeit so politisch kommuniziert werden kann, dass sie Akzeptanz in Demokratien findet.

Dr. Gerhard Schick und Michael Peters von der Nichtregierungsorganisation Finanzwende Recherche gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, weshalb seit dem Abschied vom Goldstandard die Häufigkeit von Finanzkrisen gestiegen ist. Seit Beginn der Deregulierung der Finanzmärkte in den 1980er Jahren übe der Finanzmarkt zunehmend Einfluss auf die Realwirtschaft und andere nicht nach Marktprinzipien orientierte Bereiche der Gesellschaft aus. Neben dieser Finanzialisierung der Realwirtschaft habe auch die Geldpolitik zur Instabilität des Finanzsystems beigetragen. Diese Instabilität sei dadurch gekennzeichnet, dass Zentralbanken fortlaufend intervenieren müssen. Ein weiterer Erklärungsfaktor für die fehlende Resilienz des Finanzsystems seien hohe öffentliche und private Schulden sowie die ungleiche Verteilung von Vermögen. Vorschläge für einen resilienten Finanzmarkt – wie etwa eine Finanztransaktionssteuer oder die Einführung eines Trennbankensystems – lägen seit langem auf dem Tisch. Ein stabilerer Finanzmarkt sei nur dann möglich, wenn es gelinge, die Partikularinteressen auszubremsen, die von der Instabilität profitieren.

Prof. Dr. h.c. mult. Ernst Ulrich von Weizsäcker, 2012 bis 2018 Kopräsident des Club of Rome, beschreibt die Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten als den Übergang von der „Leeren Welt“ in die „Volle Welt“ – mit all ihren Konsequenzen für Umwelt und Klima. Eine Rückkehr aus dem „Anthropozän“, dem durch den Menschen geprägten neuen Zeitalter, sei nicht möglich. Die gefährlichste Entwicklung dieses neuen Zeitalters sei die globale Erwärmung. Die große Herausforderung bestehe darin, eine dramatische Entkoppelung des Wohlstandes von den Treihausgasemissionen herbeizuführen. Ein zentraler Hebel dafür sei die Verbesserung der Energie- und Ressourceneffizienz. Was dem Klimaschutz diene und technisch möglich sei, sollte in der Regel profitabel werden. Die bisher geläufige Formel, nur der Markt dürfe die Preise bestimmen, nicht aber der Staat, sei klimapolitisch und für den Fortschritt der Kreislaufwirtschaft inakzeptabel.

Dr. Dr. Klaus Piwernetz, Medimaxx Health Management, und Prof. Dr. Edmund Neugebauer, Medizinische Hochschule Brandenburg, betonen, die Corona-Pandemie habe im Sinne eines ungeplanten Stresstests gravierende Mängel des deutschen Gesundheitswesens aufgezeigt. Aus ihrer Sicht sind Sektorierung, Angebotsorientierung und Ökonomisierung als strukturelle und methodische Systemdefizite gesetzlich im Sozialgesetzbuch V verankert. Die Autoren werben daher für einen Strategiewechsel im Sinne einer Neuausrichtung des Gesundheitssystems am Patienten. Die Methoden der kybernetischen Systemtheorie könnten helfen, in einem funktional gegliederten Gesundheitssystem evidenzbasierte und bedarfsorientierte Anforderungen zu erfüllen. Wegleitend seien dafür die Schlüsselelemente Gesundheits- und Versorgungsziele, Patienten- und Bedarfsorientierung, Verantwortung und Transparenz.

Prof. Dr. Miriam Rehm, Juniorprofessorin für Sozioökonomie mit dem Schwerpunkt Emprische Ungleichheitsforschung an der Universität Duisburg-Essen, beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der Frage, inwiefern Ungleichheit ein Treiber von Krisen ist und ob Krisen ein Treiber von Ungleichheit sind. Dabei argumentiert sie, dass insbesondere Ungleichheit bei den Vermögen eine unterbelichtete Dimension der Verteilung sei, die aber zentral sei für die Krisenanfälligkeit moderner Ökonomien. Rehm hebt hervor, die Ungleichheit bei Vermögen  in Deutschland sei – anders als bei anderen verfügbaren Einkommen – im internationalen Vergleich sehr hoch. Hohe Ungleichheit werde durch bestimmte selbstverstärkende Mechanismen noch weiter verschärft, was zu einem Teufelskreis steigender Ungleichheit führen könne. Obwohl umstritten ist, ob historische Krisen die Ungleichheit erhöht haben, führt Rehm Belege dafür an, dass die COVID-19-Pandemie sozial Schwache besonders stark betroffen hat.

Prof. Dr. Bernhard Emunds, Leiter des Oswald von Nell-Breuning-Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt/Main, hebt hervor, dass der Zugang zu Krisendiagnosen im Allgemeinen durch die Massenmedien vermittelt sei. Wer von „Krise“ redet, lenke damit kommunikativ den Fokus auf das Handeln, weniger aber auf das Reflektieren oder die Ursachen der Probleme. Desweiteren verweist Emunds darauf, dass die heutigen Gesellschaften stärker als früher von der Wirtschaft geprägt seien. Dabei sei das Moment der monetären Koordination von Handlungen in modernen Gesellschaften beinahe omnipräsent. In den letzten drei Jahrzehnten sei es zudem gewissermaßen flächendeckend zu einer Ökonomisierung sozialer und auch medizinischer Organisationen gekommen. Die ökologische Krise, die gesellschaftliche Sorgelücke und die Zunahme psychischer Erkrankungen von Beschäftigten verwiesen auf die Notwendigkeit, den Zugriff der kapitalistischen Ökonomie auf die Grundlagen des Lebens zu begrenzen.

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