Frankfurter Forum : Diskurse | HEFT NR. 28 - Geld und Gesundheit – Patientennutzen zählt

HEFT NR. 28

Geld und Gesundheit – Patientennutzen zählt

Das Frankfurter Forum hat in seinem Frühjahrs-Forum im April 2023 die anhaltenden Diskussionen über eine zunehmende Ökonomisierung der Medizin aufgegriffen und sich mit dem Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Patientenwohl beschäftigt. Heft 28 des Frankfurter Forum verhandelt diesen Themenkomplex unter dem Titel „Geld und Gesundheit – Patientennutzen zählt“.

Im Fokus der Debatten steht im Jahr 2023 insbesondere die stationäre Versorgung. Die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eingesetzte „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ hat empfohlen, die Vergütung nach den Kriterien Vorhalteleistungen, Versorgungsstufen und Leistungsgruppen neu auszurichten. Angekündigt wurde dieses Vorhaben vom Minister einerseits als „Revolution“, andererseits als ein Beitrag zur „Entökonomisierung“ der Medizin.

Neben der Krankenhausreform wird die Debatte geprägt von unterschiedlichen Stimmen zur Privatisierung von Trägerstrukturen, einerseits im Rahmen der Pflegeversicherung, andererseits der ambulanten Versorgung insgesamt. Hier, mahnen die Autoren in Heft 28 des Frankfurter Forums, ist Differenzierung angesagt. Das Engagement von Private-Equity-Gesellschaften im Zusammenhang mit der Übernahme von Praxissitzen dürfe nicht unkritisch gesehen werden. Auf der anderen Seite halte der pauschale Vorwurf, MVZ in Investorenbesitz würden einen schlechtere Versorgungsqualität abliefern, einer näheren Prüfung nicht Stand.

Vor diesem Hintergrund nahmen die Autoren in Heft 28 wie folgt zum Generalthema Stellung:

Professor Dr. Andreas Schmid, Manager bei der Oberender AG, außerplanmäßiger Professor an der Universität Bayreuth: Der Autor diskutiert an den Beispielen Krankenhausreform sowie iMVZ, inwieweit bisher bei den Herausforderungen im deutschen Gesundheitssystem nur „begrenzt zielführende Lösungen“ in Sicht seien. Denn der Begriff der „Entökonomisierung“ führe in die Irre: Stattdessen sei mehr und nicht weniger Ökonomik angezeigt. Nötig sei eine „kritische und emotionsfreie Analyse der Anreizstrukturen die unterschiedliche Vergütungs- und Eigentümerstrukturen mit sich bringen“. Ferner sollte die Qualität der erzielten Ergebnisse stärker Berücksichtigung finden, anstatt immer mehr starre Strukturvorgaben zu definieren.

Professor Dr. Jürgen Zerth, Professur für Sozialmanagement in Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt: Sozialwirtschaft ist noch stärker als derGesundheitsmarkt auf einen Abgleich zwischensozial-definierten Bedarfslagen und

Umsetzung sozialer Teilhabeziele mit Hilfe sogenannterQuasi-Märkte angewiesen. Dabei sind Sozialunternehmeneiner doppelten Legitimation ausgesetzt,nämlich das eigenwirtschaftliche Unternehmenszielmit übergeordneten gesellschaftlichen Zielsetzungenzu verbinden. Das Beispiel der Langzeitpflege zeigt dieBedeutung der Komplexität der Anreizsystematik alsauch die Notwendigkeit privaten Kapitals darin auf.

Professor Dr. Stefan Huster, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie an der Ruhr-Universität Bochum: Die Politik besitzt für die Bewältigung der Zielkonflikte zwischen Qualität, Solidarität und Wirtschaftlichkeit einen weiten verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraum. Das Grundgesetz verpflichtet den Staat nur zur Gewährleistung eines funktionsfähigen Versorgungssystems. Wie dieses hingegen im Einzelnen organisiert und ausgestaltet wird, ist verfassungsrechtlich nicht determiniert. Politisch nicht disponibel ist hingegen der Föderalismus, zum Beispiel die Kompetenz der Bundesländer für die Krankenhausplanung. Bei der Krankenhausreform gibt es weniger ein Erkenntnis-, wohl aber ein Umsetzungsproblem. Denn die Regulierung des Krankenhauswesens ist „unglücklich“ aufgeteilt zwischen Bund und Ländern. Schwierige Abstimmungsprozesse sind programmiert.

Dr. Martin Albrecht, Geschäftsführer des IGES-Instituts und Leiter des Bereichs Gesundheitspolitik: Die gesetzlich geschaffenen Möglichkeiten für nicht-vollstationäre Krankenhausversorgung sind im Laufe der Jahre auf eine beeindruckende Anzahl gewachsen. Dennoch nimmt Deutschland im internationalen Vergleich nach wie vor eine Spitzenstellung bei der Krankenhaushäufigkeit ein – und diese ist maßgeblich auf das ungenutzte Ambulantisierungspotenzial zurückzuführen. Eine substanzielle Erweiterung des AOP-Katalogs könnte die stationäre Fallzahl um mehr als 20 Prozent verringern. Die aktuellen Reformen nutzen dieses Potenzial aber nicht, sondern erhöhen stattdessen die Komplexität der Versorgungs- und Vergütungsformen an der Sektorengrenze. Das Ziel, alle sektorgleiche Leistungen sektoreneinheitlich zu vergüten, rückt somit in immer weitere Ferne. Die aktuellen Entwicklungen wirken eher hemmend als fördernd auf die angestrebte Ambulantisierung.

Professor Dr. Jörg F. Debatin, Healthcare-Unternehmer, bis Ende 2021 Vorsitzender des Health Innovation Hub beim Bundesgesundheitsministerium: Die ambulante Versorgung in Deutschland durchläuft einen umfassenden Veränderungsprozess. Technischer Fortschritt, komplexere Krankheitsbilder, wachsende Ansprüche der Patienten sowie veränderte Lebensentwürfe von Ärztinnen und Ärzten beeinflussen Struktur und Organisation der Versorgung. Vor diesem Hintergrund ist eine auf Einzelpraxen beruhende ambulante Versorgungsstruktur den Anforderungen an eine moderne Medizin immer weniger gewachsen. Von Teilen der Politik und der Ärzteschaft werden die Aktivitäten von Finanzinvestoren in der ambulanten Versorgung als problematisch angesehen. Die damit verbundenen Befürchtungen lassen sich jedoch bisher nicht durch Daten untermauern. Ausschlaggebend für Patienten ist nicht die Trägerstruktur, sondern die Qualität der ambulanten Versorgung. Ein Wettbewerb auf dieser Basis wäre wünschenswert.

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